„Deutschkurse sind für uns Türken eine Provokation“

Zuwanderung: Ernüchternder Lokalaugenschein einer Parlamentsdelegation in Ankara: Warum Integration für türkische Politiker ein Fremdwort ist.

Eigentlich wollte Karlheinz Kopf etwas lernen. Vor wenigen Tagen hat sich der Klubobmann der ÖVP mit Abgeordneten aufgemacht, um in Ankara ein paar Fragen zum Thema Integration zu stellen. Mit Wissenschaftlern, Parteifunktionären und Regierungsvertretern wollten die christlich-konservativen Parlamentarier darüber nachdenken, wie man den fast 200.000 in Österreich lebenden Menschen mit türkischem Migrationshintergrund die Integration erleichtern könnte.

Das war der Plan – doch der sollte so nicht aufgehen. Anstatt konkreter Lösungsvorschläge bekamen die Österreicher Allgemeinplätze zu hören – oder die Gesprächspartner stritten vorsorglich ab, dass ihre Landsleute in Wien oder Berlin vor enormen Herausforderungen stehen. „Ich glaube nicht, dass die zweite oder dritte Generation der türkischen Migranten ernsthafte Integrationsprobleme hat. Die jungen Türken in Österreich haben ja schon intensiv europäische Luft geatmet“, befand beispielsweise Mehmet Özavsar. Herr Özavsar ist ein mächtiger Mann. Als stellvertretender Präsident des Religionsamtes „Diyanet“ hat er 60.000 Mitarbeiter unter sich, sein Apparat bezahlt und schickt Tausende Prediger in alle Welt.

Von den Schwierigkeiten seiner Landsleute scheint er wenig zu wissen. „Sollte etwas in der Integration nicht funktionieren, dann muss die Politik eben Projekte aufsetzen.“ Projekte also. Konkreter will oder kann der Spitzenbeamte nicht werden.

Provokation

Er ist beileibe nicht der Einzige, der den Wiener Besuchern Rätsel aufgibt. Auch Gürsel Dönmez lässt manchen Delegationsteilnehmer ratlos zurück. Der 46-jährige Politikwissenschaftler wäre prädestiniert, Lösungsvorschläge zu machen. Immerhin hat er 22 Jahre in Wien gelebt; er kennt die Stadt und das Land. Seine Ansagen gehen aber in eine andere Richtung: „Deutschkurse im Ausland werden in Ankara eher als Provokation wahrgenommen. Ein Türke wird sich immer als Türke fühlen. Wir haben einfach ein sehr starkes Nationalbewusstsein.“

Das ist starker Tobak. Zumal Dönmez von Premier Recep Tayyip Erdogan eine besondere Aufgabe bekommen hat: Er soll eine neue Behörde aufbauen, die sich um die Betreuung der Türken im Ausland kümmert. „Unsere Kinder müssen Deutsch lernen, aber sie müssen erst Türkisch lernen“, hatte Premier Erdogan vor Kurzem in Düsseldorf seinen Landsleuten zugerufen. Bleibt Türken! – ist das die Botschaft, die die offizielle Türkei für ihre Migranten in Österreich bereithält?

Verbrechen

„Nein, nein, so kann man das selbstverständlich nicht sagen“, kalmiert Dönmez. Allerdings sei auch klar, „dass man Assimilation als Verbrechen gegen die Menschenrechte bezeichnen kann, wie Premier Erdogan erklärt hat“.

Sprachkurse als Provokation? Jan Senkyr bestätigt diese Einschätzung. „Als wir in Deutschland verpflichtende Deutschkurse vor Ort eingeführt haben, war man in der Türkei alles andere als begeistert. Es gab Widerstand“, sagt Senkyr zum KURIER. Der Deutsche ist Landeschef der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ankara – und beobachtet manche Entwicklung mit Skepsis: „Institutionen wie das Religionsamt oder die neue Auslandsbehörde sollen den Einfluss auf die Auslandstürken langfristig sichern. Das ist ein politisches Faktum. Egal, ob man das gut oder schlecht findet.“

Zumindest Delegationsleiter Kopf muss nicht lange überlegen, was er aus den Gesprächen mitnimmt. „Wir wollen nicht, dass sich Zuwanderer nur als Gäste fühlen. Sie müssen sich integrieren und heimisch werden“, sagt der ÖVP-Parlamentarier. „Mein Eindruck ist leider, dass die offizielle Türkei – wie etwa das Religionsamt – dem eher entgegenarbeitet.“

Insbesondere die Gründung einer neuen Behörde für Auslandstürken irritiere ihn „massiv“. Kopf: „Daher müssen wir offenbar den Druck dahingehend erhöhen, dass Neu-Zuwanderer und auch hier Lebende die deutsche Sprache beherrschen. Alles andere führt zur Bildung von Parallel-Welten – und die wollen wir ganz sicher nicht.“

Fakten: Türken in Österreich

Zahlen Rund 183.000 Menschen aus der Türkei leben hier, 73.000 davon in Wien. 2009 brachten Türkinnen im Schnitt 2,4 Kinder zur Welt, Österreicherinnen im Schnitt 1,3. 2009 hatten 68 % der türkischen Migranten keine über die Pflichtschule hinausgehende Ausbildung. 54 % der Türken waren erwerbstätig, aber nur 39 % der Türkinnen.

KURIER 08.03.2011